(Text der Rede Hiltruds zur Trauerfeier in der Philippus-Kirche) Für Laura So viele Menschen sind heute hier zusammen gekommen, und jeder einzelne wünscht sich, dass es nicht ein derartig trauriger Anlass wäre. Wir müssen Abschied nehmen von Laura. Wie soll das gehen ? Wie sollen wir begreifen, dass es ein endgültiger Abschied ist ? Ich weiß, dass noch viele mehr gekommen wären - wenn ich an all diejenigen denke, die aufgrund der großen Entfernungen nicht kommen konnten, die aber in diesem Moment sicher mit ihren Gedanken hier bei uns sind. Jeder kannte Laura unterschiedlich lange, aus den verschiedensten Lebensbereichen, unterschiedlich intensiv, aber jeder hat Bilder vor sich von Situationen, Ereignissen, gemeinsamen Erlebnissen. Meine Worte können nur kleine Einblicke beschreiben, Momentaufnahmen aus diesem so schönen, so intensiven, so früh beendeten Leben, das in seiner ganzen Fülle und seinem ganzen Reichtum ganze Bände füllen könnte. So sehen wir die kleine Laura im Februar 1978 mit ihren glücklichen Eltern, die all ihre Liebe und Zuwendung aufbringen, um das kleine, zarte, gesundheitlich etwas anfällige Mädchen zu fördern. Laura besucht ab 1984 die Fläming-Grundschule. In der ersten Klasse ist Laura ein zierliches Mädchen mit dicken schwarzen Haaren und großen aufmerksamen Augen. Sie wirkt eher schüchtern und zaghaft, übernimmt aber mutig die verschiedensten Rollen auf der Theater-Bühne der Schule: ob im "Schneewittchen", im " Froschkönig", oder zu Weihnachten im Krippenspiel, zusammen mit ihren Freundinnen Nora und Lea macht es ihr immer Spaß, in fremde Rollen zu schlüpfen. Singen und Musizieren im Flötenchor, Klassenreisen zum Wannsee und in den Bayrischen Wald - es ist eine bunte, fröhliche, unbeschwerte Grundschulzeit. Ab der 5. Klasse wählt Laura Latein und wechselt zwei Jahre später auf das Rheingau-Gymnasium. Mit Nora geht sie dort in die gleiche Klasse und verbringt mit ihr viel spannende Freizeit: beim Training und Wettkampf im Paddelverein, im Winter beim Schlittschuhlaufen am Summter See, im Herbst beim Drachensteigen in Mackendorf. Gabi und Günter legen schon früh die Grundlagen für Lauras vielseitige Begabungen, für ihre Kreativität, ihre Beobachtungsgabe, ihre Neugierde und Ausdauer, für ihre Zielstrebigkeit. Ganz selbstverständlich nehmen sie klein Laura auf ihren Reisen mit, überall hin: auf schwankenden Segelboote oder mit 9 Jahren nach Sri Lanka. Unzählige Fotoalben dokumentieren die spannenden Unternehmungen, durch die Laura schon früh die Schönheit und Vielseitigkeit dieser Welt entdecken kann. Darauf nimmt Laura auch anerkennend in ihrem Lebenslauf Bezug, wenn sie erwähnt, dass die Reisen über die Grenzen Europas hinweg einen starken Einfluss auf die Entwicklung ihres Weltbildes haben, dass sie fasziniert ist von fremden Kulturen, Religionen, Sprachen, von der außereuropäischen Geschichte. In der Schule fliegt Laura alles zu. Fachlich schwierige Sachverhalte sind für sie eine Herausforderung. Ihren Wissensdrang kann die Schule nicht erfüllen. Dafür aber ihr Vater, der mit ihr über anspruchsvolle, naturwissenschaftliche Fragen tiefgründig diskutiert und sie schon früh in die Geheimnisse der ersten Computer einführt, was in späteren Jahren sogar das eine oder andere Mal zum sportlichen Wettbewerb ausartet. Laura interessiert sich nicht nur für Naturwissenschaften und Sprachen, sie besitzt obendrein noch kunsthandwerkliches und zeichnerisches Geschick, das ihr ganz eindeutig von ihrer Mutter in die Wiege gelegt wurde. Während gleichaltrige Mädchen "Girl" und "Bravo" lesen, vertieft Laura sich in "Geo" und "Spiegel". Trotz ihrer überdurchschnittlichen Kompetenzen bleibt Laura bescheiden und herzlich, einfühlsam und kameradschaftlich. Wie differenziert und ausgeprägt ihre Interessen schon in der Pubertät sind, zeigt sich auch an ihrem Musikgeschmack (Björk und Bach) und ihrer Faszination für phantastische Feen- und Elfengeschichten. In ihrer Entwicklung zu einem besonders begabten jungen Menschen muss ihr die Schule wie ein Korsett erscheinen. Sie kann sich nicht entwickeln, wie sie es will, wie es ihren Interessen und Fähigkeiten entspricht. So zieht es Laura ab der 10. Klasse ins Ausland - gleich ans andere Ende der Welt nach Neuseeland - für ein halbes Jahr in eine Highschool - mit Unterbringung in einer Gastfamilie. Ihr Interesse gilt vor allem den Menschen, die sie dort kennenlernen will. Direkt im Anschluss folgt ein einmonatiger Sprachkurs in Frankreich. Einen weiteren halbjährigen Aufenthalt in Kanada schließt sie dort - mittlerweile in der 11. Klasse - als Jahrgangsbeste ab. Nach all ihren Auslandsaufenthalten kann Laura in der Schule immer wieder mühelos den Anschluss an ihre alte Jahrgangsstufe finden. Hinter all diesen beeindruckenden Aktivitäten stehen Lauras Eltern, stehen Gabi und Günter, die Lauras Intelligenz und Begabungen rechtzeitig erkennen und mit aller Kraft und Liebe fördern und unterstützen. So z.B. auch 1996 durch die Aufnahme einer koreanischen Freundin für ein Jahr zu Hause in der Niedstraße. Mit ihren breit gestreuten Interessen und Begabungen schafft Laura ein hervorragendes Abitur, das beste Abitur des gesamten Jahrganges 1997 am Rheingau-Gymnasium. Die Zeit zwischen Abitur und Studium nutzt Laura wieder zu einer Reise, diesmal geht's nach Australien. Schon als Kleinkind macht ihr das Reisen mit ihren Eltern Spaß, auch während der Schulzeit reist sie gern - nach dem Abitur wird Reisen zu ihrer Leidenschaft. Laura entwickelt sich zu einer außergewöhnlich klugen, attraktiven jungen Frau, zu einer außergewöhnlichen Persönlichkeit - wie auch ihre späteren Professoren ihr einhellig attestieren: unbeirrbar in ihren Idealen, voller Neugierde, Kraft, Freude und Entschlossenheit, die Welt zu verbessern. Mit ihrem liebenswürdigen, zurückhaltenden und gleichzeitig überzeugendeindringlichen Wesen macht sie sich überall viele Freunde. In wenigen Jahren erstreckt sich ihr Freundeskreis über die halbe Welt. Mit der Wahl des Studienfaches Geografie gelingt es ihr mühelos, ihre Interessen und Leidenschaften mit ihren Fähigkeiten zu verbinden und sich intensiv anspruchsvollen Projekten zu widmen. Ihre Reisen sind nie Selbstzweck, sondern sie begibt sich von Anfang an immer mit großem Wissensdurst und voller Engagement auf jede Exkursion und jede Entdeckungsfahrt. So reist sie immer weiter um den Globus und lernt immer mehr von der Welt kennen; kein Weg ist ihr zu weit, keine Hürde zu beschwerlich, keine Grenze unüberwindbar. Immer mit einfachsten materiellen Mitteln, mit Rucksack und Notizbuch. Lauras Weg führt nach Indien, Nepal, nach Costa Rica, Vietnam, Argentinien und Bolivien. Es folgen Studiensemester in Chile und Großbritannien. Was sie wirklich braucht und was ihr nützt - das hat sie immer dabei: Ihren glasklaren Verstand, ihre Neugierde, ihren Mut und ihr Selbstvertrauen. Überall knüpft sie enge und herzliche Freundschaften, nebenbei absolviert sie fast spielerisch Sprachkurse. Spanisch spricht sie sofort fließend, sie erhält überall hervorragende Zertifikate. Ihre Aufnahme in die Studienstiftung 1998 eröffnet ihr neue Möglichkeiten, die ihren Fähigkeiten entsprechen. An der Humboldt-Universität absolviert sie in ihrem Hauptfach Geografie und in ihren Nebenfächern Geologie, Agrarwissenschaften und VWL sämtliche Kurse mit Bravour. Sie knüpft ein Netz aus unzähligen Seminaren, Praktika und Kongressen, um einige ihrer Spezialgebiete Natur- und Klimaschutz zu vertiefen. Sie verfaßt Studien zum Kyoto-Protokoll, arbeitet zielstrebig weit über das Pflichtmaß hinaus an entwicklungs- und umweltpolitischen Projekten. Mit Leichtigkeit schafft sie vor 1 1/2 Jahren die Aufnahme in die international renommierte School of Economics and Political Science - dazu gibt es ein zwölfmonatiges Stipendium. Parallel zu ihren mit ungeheurer Intensität betriebenen Studien widmet sie sich mit großer Leidenschaft ihren vielen sportlichen Aktivitäten. Und die reichen von joggen, wandern, klettern, über segeln, Ski fahren und Snowboarden bis zur philippinischen Kampfsportart Amis. Und sie malt wunderschöne Bilder. Ein wahrer Genuss für alle Freunde und ihre Eltern sind ihre Briefe, Karten und Emails, die sie aus der ganzen Welt schreibt. So blumig und voller Details, dass jeder ihre Begeisterung für ihre Erlebnisse miterleben kann. So wie sie weder Langeweile noch Zeitverschwendung kennt, so lässt sie auch keinen Millimeter Platz frei auf keiner der vielen Karten, die sie schreibt. Mit winzigen gleichförmig geschwungenen Buchstaben füllt sie den begrenzten Platz so dicht wie möglich aus - in wunderbar leicht lesbarem und Laura-typischem Schreibstil -je nach Ereignis witzig, süffisant und spöttisch distanziert oder ernsthaft und reflektiert, dabei immer unterhaltsam und lehrreich. Laura hat ja so viel zu erzählen. Wenn im Freundeskreis irgendein Land erwähnt wird, Laura war meistens schon dort, und hat alles Interessante und Wissenswerte in ihrem Kopf gespeichert. Sie sprüht oft vor Energie und Mitteilsamkeit und da kann es vorkommen, dass mitten in der Nacht das Telefon in der Niedstraße klingelt, und Laura ihren Eltern eine Stunde lang aus welchem fernen Land auch immer berichten, oder sich Rat holen will, wenn in den entlegensten Ecken der Welt gesundheitliche Probleme auftreten oder die Reiseversicherung streikt. Laura ist ein wahres Multitasking-Talent: Trotz Dauer- oder Parallelstress schafft sie es immer, alles termingerecht in letzter Minute fertig zu stellen. Denn sie kann Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden und findet auch für lästigen Organisationskram immer eine Lösung. Es macht ihr nichts aus, eine Seminararbeit im Zug auf den Knien zu Ende zu schreiben oder ohne Reisepass irgendwo dazustehen- dabei kann sie immer auf ihre Eltern zählen, auf Günter, der einen Abgabetermin noch durch einen nächtlichen Endspurt zum Postamt rettet und auf Gabi, die ohne zu lamentieren das Nötige in dicken Paketen hinterherschickt. Kurz vor Weihnachten schließt Laura ihren Studiengang in London mit dem "Master" ab - als eine der wenigen "mit Auszeichnung". Glücklich und stolz können Gabi und Günter gemeinsam mit Laura zur Verleihung der akademischen Würde in die englische Hauptstadt fahren. Auf allen Fotos strahlt Laura die ganze Zeit. Sicher ist es auch ihre neue junge Liebe, die sich da schon anbahnt. Zu Weihnachten malt sie ein wunderschönes Bild für Gabi und Günter, ein Motiv aus Valparaiso, mit prächtigen Palmen vor einem maroden Stadtpalast. Durch David hat sie wieder Lust auf das Malen bekommen. Beim Skifahren in den Berner Alpen kurz vor Weihnachten - auch dort strahlt Laura auf jedem Foto vor traumhafter Alpen-Kulisse. Ihr Glück steht ihr ins Gesicht geschrieben. Ich habe bewusst diese wenigen Betrachtungen aus Lauras reichem Leben in der Gegenwartsform geschildert, weil ich es - wie wir alle - noch nicht fassen kann, dass das alles Vergangenheit sein soll, dass Laura nicht mehr unter uns ist. Sie hätte noch so vieles erreichen und so vieles erleben können. Stellvertretend für alle Freunde, die unzählige Emails und Briefe aus aller Welt geschickt haben und heute nicht hier sein können, möchte ich nur zwei Ausschnitte verlesen: Benedikt: ... ich habe Laura in Argentinien im "Tren a las nubes", dem Zug zu den Wolken kennengelernt und wir haben 4 abenteuerliche Tage gemeinsam in einem Waggon verbracht und ein Stück ihrer Lebensfreude konnte ich in dieser kurzen Zeit erfahren ... Ralf- ...ich hatte das grosse Glück einige Monate mit ihr gemeinsam in Valparaiso verleben zu dürfen. In dieser Zeit ist Laura mit all ihrem Tatendrang und Wissensdurst eine Person geworden, die ich sehr ins Herz geschlossen habe .... in meinen Gedanken wird Laura weiterleben. Eines ist bei dem Blick auf ihr Leben im Zeitraffer deutlich geworden, und das ist der einzige Trost, der den Eltern und allen mit ihr eng Verbundenen bleibt: Laura war glücklich. Und Gabi und Günter haben die Gewissheit, dass sie Laura alle Möglichkeiten geschenkt haben, so intensiv und so glücklich zu leben. Und es bleibt nur noch ein Wort von Jean Paul hinzuzufügen: Erinnerungen sind ein Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können. 14. Januar 2003